Der Mensch das Kunstwerk

[..] In der Bildenden Kunst, so die Überlegung, stellt die weiße, leere Fläche über die Jahrhunderte hinweg einen Topos dar, der den – teilweise auch Angst besetzten – Anfangsmoment künstlerischer Produktion immer wieder neu inszeniert und installiert. Wie und auf  welche Weise wird der Anfang in der Kunst verhandelt, in dem jegliche künstlerische Spur noch abwesend ist? Und wie sieht solch ein Anfangen aus, das auf der leeren, aber nichtsdestotrotz bedeutungsschwangeren, weißen Fläche generiert werden muss? Wie also wird die paradoxe Offenheit dieser weißen Fläche annektiert und in das System der Repräsentation überführt?

Der Anfangsmoment künstlerischer Produktion wurde in der Bildenden Kunst immer wieder zum Thema eines Werkes gemacht; insbesondere der unbearbeitete Mal- oder Zeichenuntergrund, sei es in Form einer leeren Leinwand oder eines weißen Blattes, avancierte über die Jahrhunderte und Genres hinweg zum Bildmotiv oder objekthaften Gegenstand mit eigenem Ausstellungswert. Ob Pablo Picasso 1956 auf  einem seiner Gemälde eine weiße Leinwand als leere Fläche im Atelierraum darstellt; Raffael im Porträt von Marcantonio Raimondi im Jahr 1520 gedankenverloren vor einer leeren Tafel porträtiert wird; oder Ceal Floyer 2010 einen Stapel leerer weißer Blätter als minimalistische Skulptur in den Ausstellungsraum überführt:

Diese Kunstwerke inszenieren die weiße, unbearbeitete Fläche jeweils als Leerstelle, die dem eigentlichen Beginn künstlerischer Produktion vorausgeht, während, paradoxerweise, vor unseren Augen jedoch eine fertig bemalte Leinwand, bedruckte Grafik oder geformte Skulptur steht. Insofern indizieren diese Objekte im Moment der Rezeption einen Endpunkt, da wir sie nur in ihrer fertigen Form und als eben diese abgeschlossenen Objekte wahr nehmen können  – und verweisen damit auf die ihnen je eigenen Grenzen. Diese symptomatische Ineinsblendung von Anfang und Ende der künstlerischen Produktion, die sich in dem Bild von der leeren Leinwand oder dem weißen Blatt in besonderem Maße konkretisiert, wird von einer weiteren Kontradiktion eingeholt, die sich bereits bei Melvilles Exkurs andeutet: Das Weiß markiert eine Leere, ein Nichts, einen Anfangspunkt, dessen besondere Potentialität sich recht eigentlich erst über seine semantische Offenheit, seine Vieldimensionalität herstellt. […]

 

Kommentar

Die weiße Fläche ist der Mensch, wie er in einer Körper-Geist-Verbindung in das Leben startet / geboren wird. Das weiße Blatt wird vom Leben beschrieben. Durch das Beschreiben ist an einigen Stellen das Weiß des Blattes nicht mehr sichtbar. Umso mehr Weiß – durch Erfahrungen – überschrieben wird, desto weniger Weiß ist sichtbar und das Bild wird bunter und formt sich, wird mehrfach übermalt, es entsteht und wird immer mehr zu einem Kunst-Werk. Was die ganze Zeit über gleich bleibt ist das Weiß der Leinwand, auch wenn es momentan vielleicht nicht sichtbar ist, es ist da. Es war schon immer da, auch als es noch nicht bemalt wurde.

Die Leere des Weiß ist immer da, man kann sie auch sehen, wenn man dahinter schaut. Ohne die Bewusstheit darüber und den Willen dahinter schauen zu wollen braucht es nichts, es ist alles da.

Dann kann man sich über das Weiß des Bildes freuen, die Farben die darauf zu finden sind und vielleicht kann man sogar sehen, dass all das eine wundervolle Gesamtkomposition ist, einzigartig, eins in ihrer Vielfalt.

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