Die kleine Störenfrieda bei Soham (Samarpan)

Ein Herz für Störenfriede

Heute berichte ich von einem wunderbar erkenntnisreichen Satsang bei Soham in Nürnberg, der gestern Abend stattfand. Ich wusste bis kurz vorher nicht, ob ich hingehen möchte oder nicht, weil ich etwas „Satsang müde“ geworden bin, genau so wie ich es müde geworden bin spirituelle Bücher zu lesen oder mir entsprechende Videos anzusehen…

Nach einer kurzen Körperbefragung, ob ich mich jetzt tatsächlich in Bewegung setzen sollte, war die Antwort: „Ja, geh nach draußen, geh raus und geh dorthin.“ So folgte ich diesem Impuls, packte meinen Rucksack mit Tee und Wasser für den Mini-Ausflug in die Nachbarstadt Nürnberg, meine ehemalige Heimat. Selbst die widrigen Umstände in Form von regnerisch nasskaltem Wetter nahe der Null-Grad-Grenze und die Aussicht mich in öffentliche Verkehrsmittel zu quetschen, hielten mich nicht ab. Ich war an Fahrzeit-Pläne gebunden, suchte im Außen nach den Antworten, obwohl ich wusste, dass sie im Inneren auf ihre Entdeckung warteten. So setzte mich mit einer Fahrplan- und Ticket-App auseinander, die erstaunlich reibungslos funktionierte. Ich war dankbar, dass ich nicht mit dem Fahrkarten-Automaten in Kontakt treten musste, den ich schon das eine oder andere Mal wüst beschimpft hatte. Ich bin der Meinung, dass die Bediener-Führung an den Automaten so unterirdisch und verwirrend ist, dass ich mich jedes Mal wieder frage, ob die Menschen, die den Auftrag für die Programmierung vergeben haben, jemals den Automaten selbst ausprobiert haben…
Naja, vermutlich bin ich einfach nur zu dumm, mich dem vorgegebenen Weg anzupassen, das will ich nicht ausschließen 😉 So an dieser Stelle ein Dankeschön an die Beteiligten der App, die wirklich so funktioniert, dass auch ich damit zurechtkomme.

Auf dem Weg dorthin, setzte sich in der U-Bahn ein vermutlich portugiesisches Pärchen mit einer Freundin mit zu mir. Die junge Frau setzte sich mit ihrem „unverschämt“ kurzen Rock mir gegenüber. Der Rock war so kurz, dass er unter ihrem kurzen Mantel gar nicht zu sehen war, und ich war hin und her gerissen, ob ich – weil auch ein Voyeur in mir schlummert – versuchen sollte, einen Blick zu erhaschen, oder ob es unverschämt ist so offensichtlich auf ihre Beine zu starren…
Ich habe mich – als älterer Mann – für die politisch korrekte Variante entschieden. Ich ignorierte die verlockende Tatsache, obwohl mein Körpergefühl etwas anderes wollte 😉

Dort angekommen bezahlte ich meine „Zwangs-“Spende (Schild auf der Spenden-Schale: „Spende 20 Euro“) und suchte mir einen Platz. Ich richtete mich ein und war sehr dankbar für den Tee, den ich dabeihatte und harrte der Dinge, die da kommen. Während des Wartens verschaffte sich ein kleines Mädchen, ca. 4-5 Jahre alt, nennen wir sie Frieda, das mit ihrer Mutter gekommen war, immer wieder durch nachfolgende Sätze Gehör:

„Wann kommt denn jetzt endlich der Samarpan!“
„Warum wollen die immer meditieren?“
„Ha, dann können die gar nicht meditieren, wenn ich so laut bin…“
„Wo ist die Spielecke?“
(Ich war kurz abgelenkt durch ein Elstern-Pärchen, das sich neckenderweise gegenseitig durch den großen Busch neben unserem Fenster trieben, gefolgt von einen Meisen-Pärchen, die das Schauspiel gesanglich unterstützen)
„Komm wir bauen ein Haus aus den Kissen.“
„Nein, nicht so Mama, das soll so sein.“
„Ich brauche von diesen Kissen welche.“

So wurde meine Rolle in dem Schauspiel aktiviert, ich erkannte meine Aufgabe – weil ich direkt vor diesem Kissenstapel saß – und half ihr immer wieder ein Kissen nach dem anderen vom Stapel zu holen, weil sie nicht groß genug war, um an die oberen Kissen heranzureichen und es zu schwer war eines der unteren Kissen herauszuziehen. Mir wurde durch sie mein planvolles Handeln bewusst, weil ich sie gefragt habe, ob ich ihr gleich mehrere Kissen herunterreichen sollte – weil es ja abzusehen war, dass sie mehr brauchen würde – sie verneinte die Frage und sagte: „Nein, eines nach dem anderen. Ich hole eines und dann komme ich wieder.“

In der Zwischenzeit war Soham „endlich“ eingetroffen, begrüßte auch das Mädchen bereits auf dem Weg nach vorne und begegnete liebevoll jedem der Satsang-Teilnehmer mit einem Blick. Während ich auf meinen Blickkontakt wartete, hörte ich hinter mir ein verzweifeltes „Hm, hm, hm, hm“ einer Mädchen-Stimme – der Empfang des Segens erschien mir in dem Moment wichtiger – und nachdem ich diesen empfangen hatte, kam ich wieder meiner eigentlichen Aufgabe nach – dem Kissen von oben nach unten Reichens – und das „Hm, hm, hm, hm“ verstummte.

Ich konnte spüren, wie die gefühlte Not der Mutter – ich kenne solche Situationen aus eigener Erfahrung – immer größer wurde, denn das „eigentliche“ Programm sollte nun starten und Frieda machte nicht den Eindruck, dass sie den Raum und die Aufmerksamkeit, die ihr zuteilwurde, jetzt plötzlich aufgeben wollte…
So ergab sich eine friedliche Co-Existenz von kindlichem Spiel und ernsthaftem Satsang – der Satsang wurde hin und wieder durch spielerische Elemente bereichert – die nicht von allen als solche wahrgenommen wurden…

Eines dieser Elemente war, welches ca. zehr Mal zum Einsatz kam, dass das Mädchen sich vor Soham stellte und laut rief: „Ich hab keine Angst vor Dir!“.
In der Reflektion wurde mir bewusst, dass ich vermutlich eine ähnliche Hochachtung vor dem Weihnachtsmann vermittelt bekommen habe, dem ich dennoch mit einer ähnlichen Rotznäsigkeit als Kind begegnet bin, wie Frieda Samarpan gegenüber.
Nach ihrem Ausruf machte sie sich wieder daran, weiter um die am Boden sitzenden Personen wie auf Zehenspitzen herum zu tänzeln. Jeden kleinen Zwischenfall quittierte Soham mit einem milden Lächeln, auch als sich Frieda das Mikrofon der Fragenstellerin schnappte und sagte: „So und jetzt sollen alle aufstehen und sich bewegen!“ 😊

„Ich habe keine Angst vor Dir!“ – Ich hatte immer den Satz „Aber ich vor Dir!“ vor Augen, als sie den Satz zum wiederholten Male voller Übermut ihm ins Gesicht schleuderte. Vielleicht war es tatsächlich das: Vielleicht hatte Soham Angst vor ihr…
Frieda mit ihrer direkt erlebbaren und gelebten Präsenz des Moments im Gegensatz zu einer Präsenz, die erst wieder neu gelernt werden muss: „So jetzt lernen wir einmal, wie wir wieder wie ein Kind sein können und dazu ist es ganz wichtig folgende Regeln zu beachten:
1. Einweihung in die Meditation
2. Jeden Tag nach dieser Art meditieren
3. In jedem kritischen Moment sich an sein Kronen-Chakra erinnern.“

Frieda hat keinen der drei Punkte jemals gehört, noch verstanden, geschweige denn befolgt und war dennoch der Mensch mit der meisten Lebensfreude in diesem Raum.
Sie hat gesprüht vor Lebensfreude, sie war durchströmt von Lebenskraft und hat dies ungeniert zur Schau gestellt. Sie hat all den – teilweise mittlerweile humorlosen Gesellen – gezeigt:
„Schaut her, so geht das mit der Lebensfreude und das sogar ohne Meditation und ohne Regeln.“ Einfach so, aus dem Moment heraus, einfach deshalb, weil ich jetzt im Moment darauf Lust habe das so und in der Form, wie es mir gerade gefällt, auszuleben, was in mir ist…

Dass das die Teilnehmer nervt, ist nachvollziehbar…

Bei drei Fragestellern kam die Frage hoch: „Ich komme mir so eingesperrt in meinem Körper vor, so abgetrennt.“ Die Antwort war – mehr oder minder – immer die gleiche: „Machst Du eigentlich die Samarpan-Meditation bereits seit 45 Tagen? Weil wenn Du das machst, hast Du gar keine störenden Gedanken mehr, die Dir so etwas Dummes vorgaukeln.“ Hmmm, ist das tatsächlich so?

Habe ich den Körper nur dazu, um einen Kopf herumzutragen, der sich am besten keine Gedanken mehr machen soll?

Sie hätten mal Frieda dazu befragen sollen. Ich bin mir sicher, sie ist sehr froh über die Möglichkeiten, die ihr ihr Körper bietet. Denn damit kann man toben, spielen, tanzen, rennen, Kuschel-Haus mit Mama bauen, … und auch ist sie froh über ihre Gedanken, sonst hätte sie nicht so kreative Einfälle, wie das Haus auszusehen hat und wofür es gedacht ist.

Der nächste Vorstoß zum Thema „Los, bewegt Euch!“ ging wieder über das Mikrofon der nächsten Fragestellerin, die den in Schaumstoff ummantelten Schallwandler nicht so gern abgeben wollte, sich aber dennoch dem Charme von Frieda geschlagen geben musste, nachdem sie plötzlich und verwundert nur den Schaumstoff in der Hand hatte. So rief sie:
„Ich will jetzt, dass ihr alle mal aufsteht und Euch bewegt!“

Weibliche Stimme aus dem Publikum vom linken Rand: „Und wir wollen, dass Du still bist!“

Ist das so? Wir wollen das? Mich hat niemand gefragt… Ich wurde einfach mit vereinnahmt…

Ich war sehr dankbar für die kleinen Einwände und Denkanstöße von Frieda – nicht zuletzt auch, weil in letzter Zeit ich immer der Störenfried war und so war ich im höchsten Maße dankbar, dass ich in dieser Hinsicht Verstärkung bekommen habe – Verstärkung beim Wachrütteln. Und ihre Form war viel gefälliger als meine, so konnte ich von ihr noch einiges lernen. Klar fehlen mir die äußeren Gegebenheiten des unschuldigen – Wahrheit sprechenden – Kindes, aber ich bin zuversichtlich, dass ich doch einiges von ihr lernen durfte…

Ob die Lern-Einheit in dieser Form tatsächlich bei allen ihre Wirkung erzielt hat, stelle ich in Zweifel, denn meine Sitznachbarin meinte nach der Meditation noch zu mir: „Also das Kind hat mich jetzt echt genervt. Ich finde das gehört einfach nicht hierher.“ Hmmm, das ist etwas, das ich aus dem Satsang mitnehme: Satsang ist etwas Ernsthaftes und die Lebensfreude von Kindern hat hier echt keinen Platz…

Satsang ist das Zusammensein mit der Wahrheit – ich habe vor allem Wahrhaftigkeit bei Frieda gespürt…

Ich bin sehr dankbar für diese Begegnung und Erfahrung und das, was sie mir gezeigt hat.

In Liebe

Thomas

Hier der Link zum passenden Video