Ich bin in letzter Zeit hin und her gerissen durch das
Thema: Wieviel Wahrheit verträgt mein Gegenüber? Wieviel dessen, was ich
erkennen kann, kann ich ihm/ihr zumuten?
Lange Zeit war ich – durch mein Umfeld entsprechend auf ein funktionierendes
Miteinander ausgebremst – äußerst zurückhaltend mit meinen Wahrheiten. Ich
hatte gelernt mich anzupassen, um in einem – wie mir schien – gegebenen Umfeld ordentlich
zu funktionieren. Ich behielt die Dinge, die mir offensichtlich erscheinen für
mich, um niemanden vor den Kopf zu stoßen. Ich hatte auch eine Zeit lang angenommen,
dass sie gesehen werden, eben weil sie augenscheinlich sind…
Ich hatte irgendwann – noch in meinem „alten“ Leben als IT-Consultant
– eine Strategie entwickelt, die es mir ermöglichte den „Wissensstand“ des
Gegenübers einzuschätzen und anhand dessen ihn an den Stellen abzuholen, die
einerseits ein absehbares und überschaubares Bild für die nahe Zukunft zu
zeichnen und andererseits nicht zu sehr das große Ganze aus den Augen zu
verlieren, weil absehbar war, welche Stolpersteine sich in den Weg legten, wenn
wir „erst mal so“ starteten…
Ich hatte in mehr als 90% der Fälle recht, was mich anfangs
noch geärgert hat, denn es schwang immer der „Siehste, ich habs ja gleich
gesagt“-Trotzkopf des Besserwissers in mir mit. Es kam dann der Forscher in mir
auf, der wissen wollte, ob es nicht auch anders geht. So habe ich meine
Strategie erweitert: Ich habe den Spielplatz in einfach immer in den – für den
Kunden überschaubaren Rahmen – belassen und habe während der Definition dieses
Raumes bereits „Ideen“ und „Optionen“ des großen Ganzen mit eingeflochten. Meist
sehr subtil und unscheinbar, doch es verfehlte nie seine Wirkung. Denn nach
einiger Zeit kam der Kunde mit jetzt „seinen“ Ideen zu mir, die ich dann lobte
und wir uns an die Umsetzung machen konnten. So war der Gesamt-Zufriedenheits-Index
auf allen Seiten viel höher 😊Ich hatte jedes Mal eine sportliche
Herausforderung und der Kunde war nicht überfordert und konnte sich einbringen,
was ihn zufriedener machte.
Manchmal ist dieses Vorgehen allerdings auch nervig und
wisst ihr, wann das der Fall ist?
Immer dann, wenn der Graben zu groß ist…
Wenn es nicht mehr reicht, dass ich ein zwei Steine ins Wasser und auf sie
deute. Sondern, wenn ich erst eine Brücke bauen müsste, um dem
Sicherheitsbedürfnis des Gegenübers gerecht zu werden.
Darauf habe ich jetzt einfach keinen Bock mehr. Ich weiß jetzt für mich, dass ich ein
Impuls-Geber bin und ich nicht dafür zuständig Brücken zu bauen für Menschen,
die ein übersteigertes Sicherheitsbedürfnis haben. Das können Menschen gerne
machen, aber ohne mich. Ich weiß, dass ich mich dabei aufreibe, das habe ich
lange genug gemacht, es macht mich kaputt und ich lasse mich nicht mehr kaputt
machen. Ich gehe meinen Weg in meinem Tempo und nehme gerne Begleiter auf dem
Weg mit, aber ich werde niemanden mehr ziehen oder schieben. Ich gebe Impulse
an den Stellen, an denen es sich ergibt und ich fühle mich andererseits nicht
verpflichtet es zu tun. Genauso wenig wie ich möchte, dass sich irgendjemand
verpflichtet fühlt diese Impulse anzunehmen. Entweder fallen sie auf
fruchtbaren Boden, dann freut es mich und wenn der Boden bereits so vertrocknet
ist, dass das Samenkorn auf der Oberfläche vertrocknet oder von jemand anderem
gegessen wird ist das genauso OK.
Ich muss niemanden mehr gefallen, das ist der Vorteil am
gefallen sein. Ich bin an vielen Stellen politisch nicht korrekt, weil ich
weiß, dass dies ein Mit-Grund dafür ist, dass die Welt im Moment so ist, wie
sie ist. Ich bin sowohl ein „renitentes Subjekt“ (diese Bezeichnung habe ich
von meinem ehemaligen Schul-Direktor bekommen, nachdem ich mich geweigert hatte
meine Mütze in der Aula abzunehmen) als auch resilientes Objekt. Ich bin das „sowohl
als auch“ allen Seins.
Ich helfe und gebe gerne aus vollem Herzen, wenn ich von mir
aus freiwillig will und ich habe keine Lust mich aussaugen zu lassen. So nehme
ich mir die Freiheit da zu unterstützen, wo ich das Gefühl habe, dass meine
Unterstützung auch als solche gesehen wird und eben nicht da, wo ich dafür
kämpfen muss, dass sie als solche anerkannt wird. Wenn es zum Kampf wird, ermüdet
es und Ermüdung laugt aus.
Was nicht heißen muss, dass jeder Impuls nur angenehm ist.
Manchmal schmerzt ein liebevolles Anstubsen sehr, weil plötzlich bewusst wird,
was da im Unbewussten schlummert – das kann sehr schmerzhaft sein, es kann
einen kleinen inneren Tod sterben lassen. Jedes Aufstehen nach einem kleinen
Tod ist ein Aufstehen Richtung Freiheit, eine Bewegung in eine neue Richtung,
eine Erkenntnis, die Raum bereitet für Neues.
Erwachen, Erleuchtung, … alles wunderbar, unbeschreiblich
schön und erweiternd zweifelsohne, aber ohne die Versöhnung mit dem inneren
Kind auf allen Ebenen und den daraus resultierenden Schritten in Form von
Handlungen, gibt es mir nur eine weitere, neue Möglichkeit vor mir selbst zu
fliehen und mich dem Versenken in das absolute Bewusstsein hinzugeben. Der
Zustand meiner erlebten Welt ändert sich nicht, wenn ich nicht den empfangenen
Zeichen folge leiste und mich vertrauensvoll dem hingebe, was zu tun ist.
Ins Tun kommen – Unbewusstes erlösen
Ich habe aufgehört das, was das Leben für mich vorgesehen
hat, in Frage zu stellen. Ich habe es einfach angenommen. Ich wehre mich nicht mehr
dagegen. Ich gehe nicht mehr in den Widerstand zu dem, was gerade dran ist zu
erfahren. Es hört sich einfach an und das ist es im Grunde auch. Das was es schwierig
erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass wir alle unbewusste Anteile mit uns
herum tragen und die sind verantwortlich dafür, dass wir nicht so handeln, wie es
erforderlich ist, um ein befreites und in sich ruhendes Leben zu führen.
Und darum geht es: den unbewussten Anteilen auf die Schliche
zu kommen. Sie zu erkennen, vor Zeugen sich dazu zu bekennen und sich ein
entsprechendes Handeln zu erlauben – und das unabhängig davon, was irgendwer
irgendwie denkt, sprich ohne Verurteilung sich selbst und auch allen anderen
gegenüber. Gleiches Recht für alle. Und die unbewussten Anteile gehen tief, sie
gehen bis an die Existenz-Grenze – über Macht, Sex, Gewalt bis hin zum Tod. Ich
habe sie alle in Selbst-Trance erlebt und gesehen. Ich habe mich mit ihnen
beschäftigt. Ich habe sie nicht verurteilt, selbst wenn sie noch so abstrus und
abnormal waren. Ich habe erkannt, dass jeder dieser Anteile auch in mir
schlummert. Und ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass dies bei allen
Menschen der Fall ist. Nur die meisten Menschen tun so, als wären sie anders,
als wären sie heiliger und besser oder auch umgekehrt versauter und schlechter
als die anderen.
Warum ist das so, warum wähle ich ein Bild von mir, dem ich entsprechen
möchte?
Weil es mir so eingeimpft wurde. Es wurde mir vermittelt,
dass es ein Ideal-Bild gibt, dem man entsprechen müsste. Dieses Ideal-Bild ist
geprägt von meinem Umfeld. Mein Umfeld erzieht mich dazu, dass ich in den
vorgegebenen Rahmen passe. Es beschneidet mich und stutzt mich solange zurecht,
bis ich dem Ideal-Bild mit den Abmessungen des normierten Rahmens entspreche.
Jetzt stellt Euch mal vor, dass das Ideal gar nicht der Rahmen
ist, sondern, dass ihr grenzenlos sein könnt, wenn ihr einfach so seid, wie ihr
seid? Ihr tragt das Ideal bereits in Euch und traut Euch nicht es zu leben –
aus Angst nicht mehr dazu zu gehören…
So entstehen viele kleine oder auch große Splittergruppen,
die sich einem Thema zuwenden, um Menschen anzuziehen, bei denen das Thema im
Moment auch akut ist: die NoFaps, die Hochsensiblen, die Depressiven, die
Burn-Outs, die Bore-Outs, die Netzwerker, die Brückenbauer, die Homos, die
Heteros, die Spirituellen, die BDSM-ler,…
Natürlich ist es wohltuend, wenn ich mich unter
meinesgleichen bewege und über die gleichen Themen mich austausche, wenn ich
meine Gruppe, meinen Bereich gefunden habe, in dem ich mich wohl fühle. Aber vielleicht
ist Leben einfach darauf ausgerichtet, dass alles einmal erfahren will…
Ich habe mich mal durch die „Liste der psychischen und
Verhaltensstörungen nach ICD-10“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_psychischen_und_Verhaltensst%C3%B6rungen_nach_ICD-10
) durchgekämpft, um zu überprüfen, ob ich dem Krankheitsbild einer der aufgeführten
Krankheiten entspreche. Und wisst ihr was? Ich habe bei fast jeder Krankheit entsprechende
Symptome gefunden, die ich zu irgendeiner Zeit meines Lebens mal hatte. Ich
habe dann das gleiche mit noch ein paar anderen körperlichen Krankheiten
gemacht und bin wieder auf das gleiche Ergebnis gekommen…
Was sagt mir das jetzt?
Es sagt mir, dass es ganz normal ist zu irgendeiner Zeit
irgendeine der vielfältigen Erfahrungen zu machen ohne dass ich deshalb gleich
einen dauerhaften Stempel dafür brauche. Ohne dass „ab jetzt“ für immer der Stempel
des hochsensiblen, homo- oder hetrero- oder bi-sexuellen Spanners, der sich auch
mal einen runterholt und mit Krankheiten auf körperlichen und seelischen Druck
reagiert. Und wisst ihr warum? Weil das ganz normal ist. Und wenn es normal
ist, ist es nicht mehr schlimm, nicht mehr verurteilenswert. Es bedarf keiner
besonderen Erwähnung, weil es zum ganz normalen Erfahrungsschatz des
Mensch-Seins dazu gehört. Zum Problem wird es nur, wenn ich irgendeinen Teil
von mir abspalte, weil ich gelernt habe, dass das ein Teil ist, der nicht gut ist.
(Selbst-)Verurteilung ist (Selbst-)Abspaltung
Zum Erkennen der eigenen Selbst-Verurteilung bzw.
Selbst-Abspaltung braucht es ein Gegenüber. Ein Gegenüber, der den
abgespaltenen Anteil bereits erkannt und integriert hat. Dabei kann ich begleiten
und unterstützen, beim Aufzeigen dieser Anteile und das tue ich sehr gerne, eben
auch weil ich weiß, dass es keinen Schritt weiter Richtung „heile Welt“ geht,
wenn sich nicht ein Teil der Menschheit sich voll und ganz erkennt und annimmt –
eben mit allen Facetten. Denn nur dieses erkennen, annehmen und integrieren erlaubt
eine manipulationslose Gesellschaft, die sich auf ihre wahren Bedürfnisse ausrichtet:
Die, der nährenden Begegnungen, des vorurteilsfreien Austausches und der
gegenseitigen Bereicherung.
Denn das ist das, was in jedem Menschen bereits angelegt
ist, was in jedem Individuum ganz organisch schwingt: Seinen persönlichen Anteil
am Ganzen beizutragen.
Es ist ein Grundbedürfnis eines jeden mit seiner
Einzigartigkeit, sich freiwillig einzubringen und teilzuhaben und nicht unter
Zwang und Druck den – wie auch immer lautenden – Vorgaben zu entsprechen. Das
tötet jegliche Lust am Leben und unterbindet und unterdrückt die benötigte
Kreativität für eine Neu-Gestaltung und -Orientierung einer neuen
Welten-Ordnung. Eine natürliche Ordnung, die das Leben schützt, behütet und gewähren
lässt. Ein freies Leben in Harmonie mit den Prinzipien des Lebens und nicht ein
Über-Leben nach – von Menschen erdachten Regeln, die das Leben geißeln und es kontrollieren
wollen.
So freue ich mich auf konstruktiven Austausch und nährende Begegnungen
im Einklang mit dem Leben.
In Liebe
Thomas