Wozu dient die Angst?

Wozu dient Angst? Ist es gut Angst zu haben?

Gut oder nicht ist gar nicht so die Frage, eher ob es dem Gesamtkomplex dienlich ist Angst zu haben. Hierzu ein paar Gedanken.

Ich wage mal zu behaupten: es gibt zwei Arten von Angst. Die eine Angst ist die Angst, die dich vor irgendetwas warnt, vor einer reellen Gefahr. Einer Gefahr, die dich bedroht, dein Leben bedroht. Simples Beispiel: Du stehst einem hungrigen Löwen gegenüber, der dir unmissverständlich zu verstehen gibt, dass er sich dich als Frühstück sehr gut vorstellen kann 😊

Angst – der Flucht / Kampf Mechanismus

… und Zack, schaltet der Körper auf Auto-Pilot: Adrenalin-Ausschüttung, Muskeln werden aktiviert, der Metabolismus wird heruntergefahren, Gehirn-Funktionen auf das nötigste beschränkt. Der Überlebens-Instinkt entscheidet sich blitzschnell für eine der drei klassischen Strategien mit dieser Situation umzugehen:

  1. Flucht / Weglaufen („Ich stelle mich dieser Situation nicht, weil ich sie vermutlich nicht überlebe.“)
  2. Kampf („Komm her Löwe, ich mach dich platt, ich weiß, dass ich stärker bin!“)
  3. Totstellen („Das geht bestimmt vorüber, ich verhalte mich still, dann zieht der Sturm an mir vorbei bzw. der Löwe.“)

Je nach Situation und Begebenheiten ist die eine oder andere Strategie erfolgreicher für das Überleben…

Falsche Ängste

Jetzt gibt es eine noch die andere Form der Angst, bei der der Körper exakt genauso reagiert. Was hier allerdings anders ist, ist dass es KEINE lebensbedrohliche Situation ist. Auch hier ein Beispiel: Bungee-Springen. Dabei weißt du, dass du an einem Gummi-Seil befestigt bist, sprich: Du müsstest eigentlich keine Angst haben.

Meist ist aber dennoch anders, sprich du hast richtig Angst, wenn du auf der Mini-Plattform stehst und nach unten blickst. Du hast bereits bei deinem Vorgänger gesehen, dass es funktioniert. Du siehst das Seil, das in den Abgrund hängt und an deinen Füßen befestigt ist. Du siehst das, was dich hält und dennoch hast du Angst davor zu springen, weil es ja schließlich in die Tiefe geht und du gelernt hast, dass sich (in den Abgrund) fallen lassen gefährlich ist.

Falsche Ängste überwinden

Ist diese Art von Angst erst einmal überwunden und du gesprungen bist, wird es unheimlich weit. Du wirst durchflutet von einer unglaublichen Weite, Offenheit und Dankbarkeit – spätestens wenn Du spürst, dass das Seil hält.

So ist es auch im Leben und in der spirituellen Praxis: überwindest Du die falschen Ängste, die dich ablenken davon wieder einen Schritt weiter zu kommen, öffnen sich Fenster und Türen und man erfährt eine neue Weite, entdeckt neue Möglichkeiten, sieht neue Wege und öffnet sich dem neuen Erleben.

Das was dich sicher hält, ist die allumfassende Liebe, die dich in ihren Armen wiegt – wie eine Mutter ihr neugeborenes Baby. Was häufig fehlt, ist das Vertrauen (Shradda) in ebendiese Tatsache. Egal was du bist und wie du bist – du wirst gehalten und geliebt, die Liebe ist immer da unabhängig von dem Umfeld, den Begebenheiten und den Menschen, die dich begleiten. Das ist so!

Ängste unterscheiden

Jetzt kann man sich natürlich fragen: wie kann ich denn die eine von der anderen Angst unterscheiden? Sehr gute Frage!

Im Yoga gibt es dafür einen Begriff: viveka = die Unterscheidungskraft, eine zentrale Eigenschaft eines spirituellen Schülers, eine von vier Eigenschaften des Sadhana Chatsushtaya, der vier Mittel zur Befreiung.

Diese Unterscheidungskraft kann man erlangen durch konsequente Selbst-Befragung und Selbst-Reflektion, der Unterscheidung von Selbst und Nicht-Selbst und der Betrachtung der Umstände aus dem Selbst heraus.

Eine andere Möglichkeit erfolgt über die körperliche Herangehensweise über die Stärkung der Intuition, ein Spiel mit Ängsten in körperlichen Grenzbereichen, denen man sich z.B. durch Kundalini-Yoga, Holotropen Atmen, … nähern kann – quasi ein kontrolliertes Annähern an den Kontrollverlust 😊.

Als Kind / Jugendlicher haben wir in den Pausen eine Zeit lang ein „Spiel“ gemacht, das so funktioniert hat:

  1. „Der Seher“ hat schnell hintereinander Kniebeugen gemacht für 30-60 Sekunden und dabei durch den Mund tief ein- und ausgeatmet
  2. Anschließend hat der „der Seher“ im Stehen komplett ausgeatmet und „der Helfer“ hat direkt „den Seher“ von hinten auf öhe des Brustkorbes Höhe des Brustkorbes umarmt und fest an ihn ran gedrückt, so dass auch der restliche Rest Luft aus der Lunge herausgedrückt wurde
  3. „Der Seher“ wurde ohnmächtig und hat so in dem kurzen „Traum“ viele schöne Dinge gesehen und wollte meist gar nicht mehr zurückkehren

Bei mir hat das immer sehr gut funktioniert, so dass sich das eine oder andere Mal die Zuschauer schon Sorgen gemacht haben … ich eher weniger, ich genoss diese kurzen Auszeiten ungemein. Voller Stolz, was für eine tolle Möglichkeit – mit Zugang zu anderen Sphären – wir entdeckt hatten, führten wir dieses „Spiel“ meinem Vater vor, der seltsamerweise gar nicht so recht unsere Begeisterung teilen wollte… 😉 Nun ja, heutzutage ist das „Spiel“ auch als Ohnmachtsspiel bekannt und gesundheitlich bedenklich und deshalb auch ausdrücklich nicht zu Nachahmung empfohlen.

Durch ein Seminar bei Reinhard Gammenthaler in Berlin dieses Jahres konnte ich mich wieder an dieses Spiel erinnern. Für das Seminar bin ich sehr dankbar und seitdem bestimmt die geniale Mischung aus energielösenden Asanas und Druck-aufbauenden Atem-Übungen – wodurch die Wirkungen direkt nachvollziehbar werden – sowohl meine eigene Kundalini-Praxis als auch die Kundalini-Stunden, die ich unterrichte.

Fazit & Tipp

Beschränke dich nicht ausschließlich auf einen Weg, kombiniere sowohl den körperlichen Weg als auch den Zugang über die Geisteskontrolle und den Zugang über die gelebten Gefühle miteinander. Dein inneres Selbst kennt bereits deinen Weg, lass es zu dich leiten zu lassen. Dein „falsch“ gefühltes ICH versucht sich laut in den Vordergrund zu drängen, lausche den leisen Tönen vor allem auch, wenn sie durch die Angst hindurch zu hören sind.

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